Aggression ist kein „Charakterfehler“
- zumlorcheborn

- 15. Okt.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen

Aggression ist kein „Charakterfehler“, sondern ein normales, funktionales Verhalten. Sie schafft Distanz zu etwas, das der Hund als bedrohlich, schmerzhaft oder überfordernd erlebt. Problematisch wird es, wenn frühe Warnsignale (Knurren, Drohgebärden) unterdrückt werden dann „überspringt“ der Hund die kommunikativen Stufen und es kommt häufiger zu Beißvorfällen. Forschung und Verbandspositionen warnen ausdrücklich davor, Warnsignale zu bestrafen, weil so das Risiko steigt, dass Hunde schneller und mit weniger Vorzeichen zupacken.
Begriffe klären: Was ist „konstruktive“ und „destruktive“ Aggression?
Die Begriffe sind im engeren Sinn keine offiziellen Fachkategorien, beschreiben aber nützlich zwei Funktionsweisen,
Konstruktive Aggression (fachlich nahe, ritualisierte/kommunikative Distanzsignale), eskalierende Warnstufen, die ohne Verletzungsabsicht Distanz schaffen sollen z. B. Anspannung, Blick fixieren, Kopf abwenden, Knurren, Lefzen heben. Ziel, Konflikt lösen, ohne Schaden. Das entspricht der bekannten „Ladder of Aggression“ (Aggressionsleiter).
Destruktive Aggression: verletzungsrelevantes Verhalten (Zuschnappen/Beißen), oft mit verkürzten oder fehlenden Vorwarnungen. Häufige Auslöser, Angst/Schmerz, Frustration (z. B. Leinen oder Barrieren Frust), Ressourcen oder Schutzverhalten und nicht selten zuvor bestrafte Warnsignale.
Wichtig: In der Ethologie bezeichnet „Übersprunghandlung“ eigentlich ein konfliktbedingtes Ersatzverhalten (z. B. plötzliches Kratzen/Schütteln). Im Hundetraining meint man umgangssprachlich oft etwas anderes, dass Hunde nach Strafe frühe Stufen „überspringen“ und schneller zu harten Reaktionen wechseln.
Warum Warnsignale Gold wert sind
Die Aggressionsleiter zeigt, wie Hunde Stress über viele kleine Signale ankündigen, lange bevor sie beißen. Wer diese Zeichen erkennt und respektiert, verhindert Eskalation. Strafe unterdrückt Warnsignale, behebt aber nicht die Ursache (z. B. Angst/Schmerz). Folge: Mehr Risiko, weniger Vorwarnung. Das betonen u. a. die Positionspapiere der AVSAB. In einer Umfrage Studie mit 140 Hunden wurden konfrontative/aversive Methoden häufig mit aggressiven Reaktionen beantwortet.
Aktuelle Evidenz zu Trainingsmethoden
PLOS ONE 2020 (Vieira de Castro et al.): Aversiv ausgerichtete Hundeschulen zeigten bei Hunden mehr Stresssignale und höhere Cortisolwerte während des Trainings; außerhalb des Trainings wirkten diese Hunde pessimistischer (kognitiver Bias).
Review Ziv 2017: Aversive Methoden sind mit erhöhtem Stress, Angst und Aggression assoziiert.
Review Fernandes et al. 2017: Studienlage spricht dafür, dass aversive Methoden das Wohlbefinden kompromittieren.
AVSAB 2021 „Humane Dog Training“: klare Empfehlung für belohnungsbasiertes Lernen; Warnung vor Bestrafung, weil Warnsignale unterdrückt werden können.
Take away: Wer „konstruktive Aggression“ (Warnsignale) verhindert, erhöht das Risiko destruktiver Reaktionen.
Ursachen und Auslöser verstehen
Häufige Hintergründe destruktiver Eskalation,
Angst/Unsicherheit (Fremde, Hunde, Geräusche)
Schmerz/medizinische Faktoren (Arthrose, Otitis, Zahnprobleme)
Frustration/Barrieren (Zaun, Leine) → oft redirected/umgelenkte Aggression gegen das nächstliegende Ziel.
Ressourcen oder Schutzverhalten (Futter, Liegeplatz, Bezugsperson)
Mangelnde Erholungszeiten/Überforderung (Dauerstress)
Immer medizinisch abklären lassen, wenn Aggression neu oder stärker auftritt.
Erkennen: Frühe Warnzeichen (Aggressionsleiter)
Typische Stufen (nicht immer linear, individuell verschieden):
Blinzeln, Gähnen, Zungenspitze über die Nase
Kopf abwenden, Blick vermeiden, Körper abdrehen
Einfrieren, Körper steif, Starren
Knurren, Lefzen heben
Schnappen in die Luft
Beißen Quelle/Visualisierung: Kendal Shepherd Canine Ladder of Aggression.
C. Kaul



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